Im Leinen- und Spitzenmuseum

Bei meinem letzten Besuch in meiner mittelhessischen ländlichen Heimat durfte ich das interessante Museum für Leinen und Spitzen besuchen. Eigentlich war noch pandemiebedingt geschlossen, aber meine Mutter hat gute Kontakte zur Führungsetage… 😉 Das kleine, liebevoll ausgestattete Museum , das aus einer privaten Sammlung hervorgegangen ist, gehört zur Stadt Haiger und zeigt im Ortsteil Haiger-Seelbach auf einer Etage alles über die handwerkliche Herstellung von textilem Leinen und auf einer weiteren Etage eine wunderschöne Sammlung alter Spitzen.

Während des Lockdowns hat das Städtchen Haiger viele ihrer geschlossenen Kultureinrichtungen mit einem Filmteam besucht und deshalb könnt ihr jetzt außer meinen Eindrücken und Fotos (die ich mit Erlaubnis des Museums gemacht habe) auch noch ein kleines Video anschauen.

Mitten im Raum steht ein großer alter Webstuhl, auf dem man sehen kann, wie einfaches sogenanntes Bauernleinen gewebt wird. Das Haus, in dem ich aufgewachsen bin, ist ein altes Bauernhaus und war bereits das Elternhaus meiner Mutter (und deren Mutter, und wiederum deren Mutter und Großmutter… ich glaube, wir sind ein Matriarchat). Bei meiner Geburt lebten 4 Generationen dort, sowohl mein Großvater als auch meine Urgroßmutter teilten das Haus mit uns, aber Landwirtschaft wurde nicht mehr betrieben.

Die Urgroßmutter konnte sich noch erinnern, dass ein solcher Webstuhl im Winter über in der Wohnküche stand und darauf gewebt wurde (von ihrer Mutter, also meiner Ur-Urgroßmutter). Ungefähr ein Jahrhundert ist das her. Wenn ich mir anschaue, was mit der Textilproduktion passiert ist in diesem einen Jahrhundert, wird mir ganz schlecht. Meine Tante, die ältere Schwester meiner Mutter, war gelernte Herrenmaßschneiderin und hat ihren Beruf noch bis Anfang des aktuellen Jahrtausends in einem Textilunternehmen dieser Region ausgeübt. Bis das Unternehmen, wie so viele, seine Produktion nach Osteuropa verlagert hat.

Eine Aussteuer-Truhe und alte Spinnräder

Sicher war es ein begrüßenswerter Fortschritt und eine Erleichterung, dass Stoffe und Kleidung nicht mehr ausschließlich in Handarbeit hergestellt werden mussten und auch erschwinglicher wurden durch die maschinelle Herstellung von Stoffen. Aber dass die inzwischen globalisierte und von Profitgier getriebene Textilindustrie zu einer riesigen Umweltkatastrophe mutiert ist, wo der monokulturelle Anbau von Baumwolle unfassbare Mengen an Wasser und Pestiziden benötigt, die teure Näharbeit mehr oder weniger ausnahmslos in Niedriglohnländer verlagert wurde wo unwürdige Arbeitsbedingungen herrschen und unsere Gesellschaft trotz alldem immer heißer auf immer billigere Mode wird, die nach drei mal Tragen im Müll landet, macht mich nur mehr fassungslos.

Das Museum zeigt einen 20-Minütigen Film, in dem die Leinentextil-Herstellung von der Aussaat der Leinsamen bis zum fertig gewebten Stoff gezeigt wird. Lustige Wörter habe ich dabei gelernt – zum Beispiel: „Hechelbock“. Ein Hechelbock ist keine außer Atem geratene Ziege, sondern ein Holzgestell auf dem ein Metallkamm angebracht ist, durch den man die Flachsfasern wiederholt durchzieht (hechelt).
Auch spannend fand ich den Begriff „Wasser-Röste“, der ja eigentlich ein Oxymoron ist. Wie kann man etwas mit Wasser rösten? Es geht dabei darum, dass der Flachsstengel eingeweicht wird, damit sich die äußere Hülle besser von der eigentlichen Faser trennen lässt.

Dieser Film ist leider nicht online zu finden, aber ein anderes Museum bietet eine kurze Alternative

Eins wurde mir ziemlich schnell klar: die manuelle Stoffherstellung war ein wahnsinniger Arbeitsaufwand! Deshalb wurden die Stoffballen auch wie Schätze gehütet und gehörten zur Mitgift/Aussteuer bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts. Und was passiert heute, wenn auf den Dachböden alter Bauernhäuser noch solche Stoffe gefunden werden? Ich fürchte, in den meisten Fällen haben die Finder keine Ahnung, was das ist und sehen nur alte, schmutzige Lumpen, mit denen man nichts mehr anfangen kann. Ich fürchte, ganz oft wird das einfach weggeworfen… handgewebte Stoffe. Aus handgesponnenen Garnen. Aus handgekämmtem Leinhaar. Aus handgesät- und handgeerntetem Flachs.

Ähnlich wie bei meinem Museumsbesuch in Tokyo zum Thema Boro hat mich die Konfrontation mit dem Werteverfall von Handarbeit im Textilbereich ganz schön tief erschüttert.

Sehr spannend für mich war natürlich die Färbe-Ecke. Wie überall in Europa war auch in meiner Region der Blaudruck stark verbreitet. Ein Verfahren, bei dem mit Holzstempeln eine schleimige „Papp“ Masse (irgendwas mit Ton und Gummi Arabicum) auf den Stoff gedruckt wird bevor dieser in ein blaues Färbebad kommt. Die mit Papp bedruckten Stellen bleiben weiß. Ursprünglich nahm man für die Blaufärbung den heimischen Färberwaid, aus dem ein Indigoblau gewonnen werden kann. Später den aus Asien importierten Indigo, der eine bessere Färbekraft hat.

Dieser zweifarbige Blaudruck hat es mir besonders angetan…

Wen es interessiert, hier ein kleines Video zum Blaudruck. Das alte Handwerk ist inzwischen Teil des immateriellen Kulturerbes.

Auf der Etage mit den Spitzen ging es weniger um die Herstellungsprozesse, dort kann man einfach eine Sammlung wunderschöner alter Spitzen anschauen. Da sie fast ausschließlich in Vitrinen liegen, ließ sich das nicht sonderlich gut fotografieren…

Das Museum hat einen kleinen Shop, in dem man alte Leinentextilien und Spitzen kaufen kann – von Bettwäsche über Mehlsäcke bis zum Nachthemd. Eine schöne handbestickte Borte habe ich mir als Erinnerung mitgenommen und hatte dafür auch schon direkt eine Idee…. (weiterlesen im nächsten Blogartikel: Dornröschen)

Alte Handarbeit aus dem Museums-Shop: Filetgehäkelte Spitze aus Leinenzwirn, mit blauem Garn bestickt

Verlinkt: Freutag, Einfach Nachhaltig

8 Gedanken zu „Im Leinen- und Spitzenmuseum“

  1. Der Vater der Gründerin (Rudolf Knothe) war ein Jugendfreund meines Vaters und oft bei uns zu Besuch, schön das sich das Museum so weiter entwickelt hat.

  2. Vielen Dank für diesen tollen Bericht über unser Leinen- und Spitzenmuseum. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Sehr ausführlich geschrieben.
    Viele Grüße aus Haiger-Seelbach

  3. Ein sehr schöner Bericht, der leicht wehmütig werden lässt. Wie gerne hätte ich eine Zeitreisemaschine und würde mal dorthin flitzen, um zu erleben, wie so ein Kleidungsstück wirklich ensteht, ganz von Anfang an.

  4. Vielen Dank für diesen Bericht. Ich hatte ja keine Ahnung, dass sich in meiner relativen Nähe ein so schönes, interessantes Museum befindet! Ich werde da gelegentlich mal hinfahren, wenn wieder geöffnet ist. Deine dort gekaufte Borte ist wunderschön und so besonders – bestickte Filethäkelei! – und das daraus entstandene Top gefällt mir sehr.
    Auch die andere Bluse ist toll.
    LG
    Siebensachen

  5. Vielen Dank für diesen tollen Beitrag!
    Gerade habe ich 5m!! altes handgewebtes Leinen geschenkt bekommen.
    Ich konnte es kaum fassen.
    Jetzt stehe ich allerdings ehrfürchtig davor und traue mich nicht ran 😉
    Ich werde noch eine Weile drüber brüten, was ich daraus machen möchte.
    Viele Grüße Christina

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