Oh, boy!

Ich hab mir eine neue Jeans genäht. Eine Boyfriend Jeans genauer gesagt. Obwohl ich weder einen boyfriend habe noch einer bin. Das fand ich eigentlich ziemlich normal, ich hab ja auch schon so ein gekauftes Modell gehabt, Jahre getragen und verschlissen. (Weshalb ich nun eine neue haben wollte.)

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Aber letzte Woche hab ich mir in der ARD Mediathek eine Sendung angeschaut, die die Frage stellt, ob Mode ein Geschlecht hat. Unsere Gesellschaft geht nämlich ziemlich merkwürdig um mit diesem Thema.

Das Schild hab ich mal ein einem Berliner Schaufenster gefunden…

Als (westliche) Frau findet man es heutzutage komplett normal, einfach alles zu tragen, wozu man Lust hat und sich um die Geschlechterzuordnung, die mit dem Kleidungsstück konnotiert ist, nicht (mehr) zu kümmern.

Umgekehrt ist es allerdings alles andere als normal, wenn ein Mann just for fun in einem Kleid herumspaziert. Und wenn es einer tut, wird das sofort mit Homosexualität oder mit Transsexualität assoziiert.

Es entsteht gerade eine Bewegung um dieses Thema, sogar eine eigene Moderichtung – die „Gender-fluide“ Mode – ich bin sehr gespannt, wie sich das entwickelt und wie wir in 20, 30 Jahren in unserer Gesellschaft darüber denken und ob wir überall Männer in Röcken sehen werden. Zu Ur-Omas Zeiten war es schließlich auch undenkbar, dass sich Frauen eine Männerhose anziehen. Und was ein Boyfriend ist, wusste damals noch niemand.

Gut, jetzt aber zu meiner Jeans.

Genäht hab ich sie beim Jeanswochenende Nummer zwei. Das ist ein reines Online-Nähtreffen, wie schon die erste Runde im März, ich hatte davon ausführlich berichtet.

Ich wollte eigentlich nochmal eine Ash Jeans nähen in dunkelblau, da meine blaue Skinnyjeans auch so langsam durch ist. Dafür musste ich aber Stoff bestellen, denn die Hose muss viel Stretch haben und in meinem Vorrat war nichts, das elastisch genug war. Ich hatte mich aber mit dem Datum vertan und das Nähwochenende war eine Woche früher, als ich gedacht hatte – und mein Stoff noch nicht da!

Im Sommer hab ich einen megaschönen Denim Leinen gekauft, aus dem wollte ich eigentlich eine Sommerjeans im Boyfriend Style nähen. Dazu bin ich nicht gekommen, zumal ich bisher noch keinen solchen Schnitt erfolgreich genäht habe. Es gab mal einen Anlauf, der nicht so gut wurde (hier verbloggt), also dachte ich mir, ich nähe mal eine (evtl auch tragbare) Probe Boyfriendhose und bin dann nächsten Sommer vorbereitet und versaue mir das gute Leinen nicht. Auf meiner Festplatte gab es die Leni Pepunkt Boyfriend Hose und die Wyome von named pattern. Letztere sah dem Schnitt der Hose sehr ähnlich, die ich als Kaufhose hatte – das erschien mir also vielversprechend. Für billigen Probestoff hab ich den Maybachufermarkt abgeklappert – dort gab es aber keinen einzigen Meter Denim. Hm. Nach Begutachtung meines Stofflagers entschied ich mich für einen guten Bio-Denim, den ich vor Jahren mal bei Siebenblau als 2. Wahl erstanden hatte. Mit einem Webfehler drin und nur 1,10 m lang (aber 1,50 m breit!). Außerdem ganz leicht elastisch, aber das schadet ja nun der Bequemlichkeit nicht.

Gemäß Größentabelle hätte ich eine Größe 40 nähen sollen. Ich hab meine alte Hose zum Vergleich auf den Plot gelegt und mich dann für Größe 42 entschieden. Als ich den Schnitt auf den Stoff gelegt habe war ich erleichtert: den Webfehler konnte ich im Verschnitt platzieren und es hat für alle Teile gereicht, außer den Innenbund (Wyome hat einen Formbund). Und den kann man auch prima aus einem anderen Stoff machen – das sieht ziemlich hübsch aus! Ich hab meine Restekiste durchwühlt und für den Bund und die Innentaschen zwei schöne japanische Stoffe gefunden.

Ich glaube ich habe bisher noch nie eine Hose mit so einem schönen Innenleben genäht! Normalerweise halte ich mich mit sowas (das eh keiner sieht) nicht auf. Aber wenn man in der Nähgruppe beobachtet, wie detailverliebt die anderen zu Werke gehen (z.B. Eichhörnchen auf die Taschen sticken!), motiviert das sogar mich, aus meiner „faules Mädchen Komfortzone“ rauszuwachsen.

Ich war irgendwann sogar richtig penibel und hab auch die Knopflöcher erstmal „probegenäht“. Übrigens ist die ganze Hose auf meiner Oldtimer Nähmaschine enstanden. Die kleine Koffer-Elna Lotus SP war meine allererste Nähmaschine und die ist wirklich superpraktisch zu transportieren. Außerdem ist sie meine liebste Nähmaschine für Knopflöcher, da sie nur eine Teilautmatik besitzt und man nicht der Maschinenlaune völlig ausgeliefert ist.


Ein ganz heißer Tipp zur Stabilisierung der Knopflöcher kam aus der Nähgruppe: Prym Fransenstopp. Das hab ich mir umgehend besorgt und sowohl auf die noch geschlossenen Knopflöcher getröpfelt, als auch auf die Stellen, wo die Lochzange für die Knöpfe reinmusste.

Potaschenplanung

Apropos Taschen: ich hatte beim ersten Jeanswochenende ja schon bemerkt, wieviel Zeit, Gedanken und Liebe man in die Verzierung der Gesäßtaschen stecken kann.
Durch meine Stoffwahl für das Hoseninnenleben kam mir diesmal die glorreiche Idee, ein japanisches „Asanoha“ Muster aufzusticken. Ich konnte mir das super vorstellen (irgendwo auf Instagram hatte ich auch schonmal sowas gesehen) – hatte aber nicht so den Plan, wie genau ich das bewerkstelligen sollte und musste da ein paar Überlegungen anstellen.

Allerdings hab ich erstmal die Hose genäht, um sicherzustellen, dass sie auch passt und überhaupt Potaschen benötigt 😉 (nicht dass ich mir die ganze Arbeit nachher umsonst mache). Die erste Anprobe nach dem Heften mit großen Stichen war aber schon überaus vielversprechend. Nur die Position der Gesäßtaschen gefiel mir nicht – ich hab sie deshalb ein ganze Stück nach oben gerückt. Ansonsten hab ich noch eine Hohlkreuzanpassung gemacht und musste dafür hinten mittig noch ein Stück aus dem Bund nehmen.


Wegen meiner Terminverpeilung hätte ich übrigens fast das Berliner Nähkränzchen wieder abgesagt, an dem ich endlich mal teilnehmen wollte. Aber ich bin schließlich am Samstag doch nach Moabit gefahren und hab dort in netter Gesellschaft in einer Kirche an meiner Hose gewerkelt. Und mich hin und wieder per handy ins Zoom Meeting der Jeansnäher eingeklinkt. Am Sonntag war ich wieder voll online dabei. Bis zum Abend hatte ich die Hose fertig bis auf: Gürtelschlaufen festnähen, Knöpfe anbringen, Beine säumen und die Potaschen.

Für die hab ich mir das Muster schließlich am Computer vorentworfen.

Aber wie näht man das mit möglichst wenig Nähten? Das Muster besteht aus Linien, aber nicht alle sind „durchgehend“. Ich hab mir ein YouTube Tutorial dazu angeschaut und dann verstanden, wie es aufgebaut ist:

Zuerst wollte ich es mit der Hand sticken (Sashiko), aber mir gefiel die Farbe meines Topstitching Garns ziemlich gut dafür – das sah aber handgestickt gar nicht schön aus. Und Stickgarn hatte ich nur in weiß. Also musste es irgendwie gehen mit der Maschine.

Ich hab meine Computervorlage ausgedruckt und auf Soluvlies übertragen. Das ist Vlies, das sich in Wasser auflöst.

Das Vlies hab ich auf die Tasche geheftet, damit nichts verrutschen kann und dann alles mit der Maschine aufgestickt. Als das Vlies ausgewaschen war und die Taschen wieder trocken, hab ich noch die Fäden des Topstitching Garns auf die Rückseite gezogen, verknotet und vernäht.

Ein ganz schöner Aufwand – aber nachdem ich nun sowieso viel Arbeit in die Details dieser Hose gesteckt habe, hat sich das auf jeden Fall total gelohnt! Ich liebs jedenfalls!

Kleines Herbststrickprojekt: Pulswärmer

Wie immer und extra für euch noch eine kleine Modenschau mit Outfit Kombinationen aus meinem Kleiderschrank

Bestimmt wieder als Schlusslicht verlinke ich mich noch schnell beim MeMadeMittwoch im November!

Und zu allerletzt (sorry für die Bilderflut heute) noch ein kleiner Vergleich mit meiner alten gekauften Hose… von der Waschung mal abgesehen find ich Sitz und Passform ziemlich nah dran! Carola (Nähkatze) hat übrigens einen Boyfriendjeans Sewalong auf Instagram angekündigt – am Samstag geht´s los damit. Ich werde sehr wahrscheinlich den gleichen Schnitt nochmal nähen, in hellgrauem Denim. Ich bin im Nachhinein übrigens superfroh, keinen Billigstoff gefunden zu haben – denn ich hoffe, an dieser überaus gelungenen Hose noch lange Freude zu haben!

37 Gedanken zu „Oh, boy!“

  1. Fantastisch. Ein sehr schöne Modell. Tolle Passform und wunderschöne Details. Die Knopflöcher sind eine Augenweide. Ich finde auch die Sorgfalt der richtigen Platzierung der Gesäßtaschen toll. Großes Kompliment 🙂 Liebe Grüße Birgit

  2. Ich finde, diese Beinweite mit hinten bisschen locker hat überhaupt nichts mit boyfriend zu tun. Ich trage nur sowas und denke mir nichts dabei. Nach meinem Verständnis ist boyfriend ein bisschen zu groß für einen, also richtig kastig weit. Tolle Hose!

  3. Auch dieses Mal ist Dein Werk wieder mehr als gelungen und pure Inspiration. Ich bin immer beeindruckt wie viel Mühe und Liebe zum Detail Du in Deine Näharbeiten steckst.

  4. Deine Jeans ist ein echtes Hammerteil, die Innenverarbeitung und die Potaschen sind ein Traum- es war richtig, Deine Komfortzone zu verlassen. Ich bin auf die nächste Hose gespannt 🙂

    Viele Grüße,
    Sandra

    1. Der Stoff für die nächste Hose ist ziemlich elastisch, ich denke deshalb, dass ich eine Größe runtergehen werde. Nachdem ich mir jetzt die Latte so hoch gehängt habe,… was soll bloß auf die Potaschen diesmal drauf? 😉

  5. Deine Jeans ist toll geworden, besonders diese schöne Stickerei auf den Po-Taschen. Die haben mich sofort getriggert. Der Schnitt gefällt mir sehr, ich suche gerade selber nach einem guten Schnitt für einen Denim ohne Elsathan. Deinen merk ich mir.
    Liebe Grüße, Stefanie

    1. Da gäbe es noch die Morgan Jeans von Closet Core und die Dawn von Megan Nielsen und auch bei Anna Allen Clothing gibt es eine neue Jeans ohne Elasthan: Helene.

  6. Was für eine wunderschöne Hose! Die ist richtig super geworden und – wie es sich für eine Jeans gehört – perfekter Kombipartner für viele Teile in deinem Schrank.
    Dank deiner vielen Bilder (nein, das ist keine Bilderflut, sondern genau richtig) sieht man (mal wieder), wie toll sich in deinem Kleiderschrank eine Linie durchzieht und wie harmonisch alles wirkt. Klasse!

    LG Miriam

    1. Das mit der roten Linie ist erst so deutlich, seit ich alles selbst nähe. Es ist außerordentlich praktisch, wenn die Teile alle gut untereinander kombinierbar sind.

  7. Fantastisch!!! Ich lese so gerne bei Ihnen und bin immer total begeistert. Was für eine Jeans – ich bin begeistert von Passform, kreativen Ideen und der Verarbeitung.
    Außerdem lese ich immer sehr sehr gerne Ihre Texte zu den Projekten – vor allem Upcycling und Refashioning.
    Zur Geschlechterdebatte rund um Mode – als Soziologin habe ich ähnliche Gedanken und Anfragen. Danke für diesen Input.

    Herzliche Grüße aus Erlangen

  8. Super ist sie geworden Deine neue Jeans; und mit den Asanoha-Muster passt sie wunderbar zu vielen Deiner Oberteile, die für mich oftmals eine japanische Anmutung haben. Danke für den Link zur ARD Mediathek, ich finde ja solche Sendungen sehr inspirierend. Liebe Grüße Manuela

    1. Das Asanoha Muster fasziniert mich sehr – in meinem Kopf plante ich schon einen wattierten Pullover mit diesem Muster als Steppmuster – und den am liebsten noch beidseitig verwendbar. Aber ich weiß nicht, ob ich das wirklich ausgetüftelt bekomme.

  9. Wow, was für ein kreatives Nähprojekt! Auf diese Jeans kannst du wirklich sehr stolz sein. Danke für Deinen interessanten und informativen Blogartikel. Den Fransenstopp werde ich mir jetzt auch besorgen.
    LG Julia

  10. Was für eine tolle Hose! Innen und außen einfach außerordentlich gelungen mit perfekter Passform. Deine verschiedenen Outfits sind ein Augenschmaus, vielen Dank für die Mühe beim Fotografieren! LG Kuestensocke

    1. Ich mach das eigentlich ganz gern mit der Fotomodenschau – nur das Klamotten-Chaos im Zimmer könnte dann gern jemand anderes wieder wegräumen. 😉

    1. Dass die Hose so gut passt, ist ja auch ein bißchen Glücksache. Ich hab tatsächlich das Glück, dass mir Schnittmuster (und auch gekaufte Hosen) einfach passen ohne großen Änderungsaufwand.
      Hier hab ich einfach ganz viel Zeit und Liebe in die Verarbeitung und Details gesteckt.

    1. Danke, Irene. Ich bin selbst ganz happy, dass das alles so schön geworden ist. Und werde direkt eine weitere Hose nach dem Schnitt hinterher nähen.

  11. Die Taschen sind echt der Knüller geworden, den bunten Innenformbund habe ich ja schon bewundert. Ich dachte immer, boyfriend seien weiter, schlabbriger irgendwie, dieser Style gefällt mir gut. Und der Schnitt ist auch prima, komische, dass er selten genäht wurde. LG Anja

    1. Das stimmt auch, die Hose sitzt nicht eng – aber weit ist sie auch nicht. Deshalb auch überaus bequem im übrigen. Bei den Skinny Jeans muss ich am Abend öfter mal raus und zur Jogginghose wechseln – die Boyfriendjeans kann man auch gut zum gemütlich auf der Couch hängen anlassen.

  12. Die ist ja super geworden! Und um bei unserem laufenden Thema zu bleiben: Vor Jeans habe ich so viel Respekt, das brauchst du zumindest keine Sorge zu haben, dass ich wieder deine Ideen abkupfere. Zumal ich nur eine Nähmaschine besitze, die ist zwar toll, wenn es um feste Stoffe in mehreren Lagen geht, aber Knopflöcher mag sie nun mal gar nicht.

  13. Ich bin gewöhnlich eher auf deiner Seite und lass es irgendwann dann auch mal gut sein mit den Details. Nur bei der Passform bin ich pedantisch. Trotzdem schau ich mir diese feinen Details gerne bei anderen an, damit ist deine Jeans wirklich eine Freude!
    Grüße, Tina

    1. Das war wie gesagt ein bißchen der Gruppen“zwang“. Nicht, dass es tatsächlich irgendeinen Zwang gegeben hätte, das durfte in der Nähgruppe jeder so machen, wie es ihm gefällt. Aber da mir das bei den anderen eben auch so gut gefallen hat mit bunten Innentaschen und Stickereien, hat mich das beflügelt, mich dem auch einfach mal anzunehmen.

  14. Bor alles mega toll und perfekt durchdacht! Du hast solche Schätze im Kleiderschrank, schön, dass du sie immer wieder zeigst!!! Ich sage dir im Frühling bescheid wegen der hafenrundfahrt! LG Sarah

  15. Irgendwie hatten viele heute den gleichen Gedanken. So viele Hosen diesmal. Und einige Boyfriend außerdem. Deine ist ganz toll. Einen japanischen Stoff mit Asanoha-Muster habe ich auch schon mal für Jeanstaschen verwendet, farblich auf das Absteppgarn abgestimmt. Und ich liebe sie. Das Muster auf die Potaschen zu übertragen ist eine geniale Idee. Und dann noch so perfekt ausgeführt. Ich ziehe meinen Hut. Jetzt bin ich dann auf deine Leinen Version gespannt. LG heike

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